Produktive Anstrengung durch Design
Lehren im Zeitalter der KI
Zentrales Prinzip
Wie James Lang in Cheating Lessons (Lang 2013) argumentiert, ist „Schummeln eine unangemessene Reaktion auf eine Lernumgebung, die für den Studierenden nicht funktioniert.“ Statt den Fokus auf das Verhalten der Studierenden zu richten, müssen wir Lernumgebungen so gestalten, dass produktives Ringen der lohnendste Weg ist.
Forschung zu “desirable difficulties” (R. A. Bjork 1994; E. L. Bjork and Bjork 2011) zeigt, dass Lernen kognitive Anstrengung erfordert—wenn wir den “struggle” entfernen, entfernen wir das Lernen. Doch Studierende erhalten oft keinen Anreiz, sich auf anstrengende Verarbeitung einzulassen. Das Ziel ist es, Umgebungen zu schaffen, in denen Lernende sich bewusst auf diese Anstrengung einlassen, weil sie deren Notwendigkeit für tiefes Lernen verstehen.
Evidenzbasierte Umweltgestaltung
1. Prüfungen mit niedrigen Einsätzen (Lang 2013)
Ersetze Einzelprüfungen mit hohem Gewicht durch häufigere, weniger bedeutsame Bewertungen:
2. Gestaltung intrinsischer Motivation (Lang 2013)
Gestalte Kurse um bedeutungsvolle Probleme statt um reine Inhaltsabdeckung:
Inhaltsorientiert: „Lies Kapitel 7 über Klimawandel“
Problembasiert: „Analysiere, wie sich das Klima in deinem Heimatort mit lokalen Wetterdaten verändert hat“
Probleme, die im Umfeld der Studierenden wurzeln, können intrinsische Motivation ansprechen und sind weniger anfällig für KI-Generierung.
3. Verteiltes Wiederholen (Cepeda et al. 2006)
Verteile Ăśbung ĂĽber die Zeit statt sie zu bĂĽndeln:
Woche 1: Konzept A einfĂĽhren
Woche 3: Konzept A wiederholen und Konzept B lernen
Woche 6: A & B in neuem Kontext anwenden
Woche 10: A & B mit Konzept C verknĂĽpfen
Forschung zeigt, dass verteilte Übung das Langzeitbehalten um 200–300% verbessert.
4. AbrufĂĽbung (Roediger and Karpicke 2006)
Nutze Tests als Lernwerkzeug, nicht nur zur Bewertung:
5. Vermischtes Ăśben (Rohrer 2012)
Mische verschiedene Aufgabentypen in Ăśbungsaufgaben:
Statt 20 Algebra- und dann 20 Geometrieaufgaben zu geben, mische sie:
- Aufgaben 1, 4, 7: Algebra
- Aufgaben 2, 5, 8: Geometrie
- Aufgaben 3, 6, 9: Textaufgaben mit beidem
Interleaving verbessert die Unterscheidung ähnlicher Konzepte und das Langzeitbehalten.
6. Kognitive Belastung steuern (Sweller 2023)
Gestalte Instruktion so, dass sie die Arbeitsgedächtniskapazität optimiert und produktives Ringen erhält:
Für Anfänger:
- Durchgearbeitete Beispiele vor eigenständiger Übung bereitstellen
- ĂśberflĂĽssige Belastung reduzieren, aber die eigentliche Herausforderung erhalten
FĂĽr Fortgeschrittene:
- Elementinteraktivität schrittweise erhöhen
- Produktives Ringen durch passende Schwierigkeitsgrade fördern
- Fokus auf lernproduktive kognitive Belastung
Optimale Herausforderungs-Architektur
Schaffe strukturierte Gelegenheiten fĂĽr anstrengende Verarbeitung, indem du den optimalen Schwierigkeitsgrad findest:
- Zu leicht: Lernende schalten ab; kein Lernen
- Zu schwer: Überforderung, Arbeitsgedächtnis überlastet
- Genau richtig: Produktives Ringen, Lernen findet statt
Gestaltungs-Implementierung:
- Beginne auf dem aktuellen Fähigkeitsniveau
- Füge ein neues Element an Komplexität hinzu
- UnterstĂĽtzung fĂĽr das Ringen, nicht dessen Beseitigung bieten
- Ausreichend Zeit fĂĽr anstrengende Verarbeitung lassen
Fächerübergreifende Anwendungen
Interleaving anwenden:
- Aufgabentypen in Sets mischen
- Zwischen mathematischen Verfahren wechseln
- Textaufgaben einbeziehen, die Strategieauswahl erfordern
Durchgearbeitete Beispiele:
- Schritt-für-Schritt-Lösungen vor Eigenübung zeigen
- Unterstützung allmählich abbauen, sobald Expertise wächst
Verteilte Ăśberarbeitung implementieren:
- Entwurf → Woche Pause → Überarbeitung → Woche Pause → Endfassung
- Mehrere Feedback-Schleifen mit niedrigen Einsätzen
Designbasiertes Lernen:
- Schreiben an reale Probleme binden
- Echte Zielgruppen auĂźerhalb des Unterrichts
AbrufĂĽbungen:
- Vorhersagen-Beobachten-Erklären-Zyklen mit verzögertem Feedback
- Konzeptmapping aus dem Gedächtnis vor Nachschlagen
WĂĽnschenswerte Schwierigkeiten:
- Hypothesen generieren vor Wissensvermittlung
- Phänomene erklären, bevor der Mechanismus gelehrt wird
- Mit „gescheiterten“ Experimenten ringen, die Fehlvorstellungen aufdecken
Kognitive Belastung beachten:
- Durchgearbeitete Beispiele für Syntax, Problemlösen für Logik
- Pair Programming als kognitive Meisterlehre
- Anderen Code debuggen, um Mustererkennung aufzubauen
Umsetzungshilfe
Schwierigkeit fĂĽr Lernende umdeuten
Hilf Lernenden zu verstehen, dass kognitive Anstrengung kein Designfehler ist, sondern der eigentliche Lernmechanismus:
Dokumentation des Ringens
Fehler-positive Kultur aufbauen
Bewertungsgestaltung:
Veränderungen der Lernumgebung:
Strukturierte Lernaktivitäten
Vor dem Lernen (Generationseffekt):
- Probleme vor der Instruktion versuchen
- Lösungen zu unbekannten Herausforderungen generieren
- Ergebnisse vor Demonstrationen vorhersagen
- Fragen zum neuen Stoff entwickeln
Während des Lernens:
- Think-Pair-Share Verwirrung: Unklares teilen, gemeinsam daran arbeiten
- Fehler-Speed-Dating: Durch häufige Fehler rotieren und diskutieren
- Produktive Scheiter-Challenges: Absichtlich Aufgaben leicht ĂĽber dem Niveau stellen
- Erklären-vor-dem-Wissen: Vor der Antwort Erklärungen versuchen
Nach dem Lernen:
- Transfer-Aufgaben: Konzepte auf neue Situationen anwenden
- Fehlerdiagnose: Fehler in Beispielarbeiten erkennen
- Peer-Coaching: Anderen durch deren produktives Ringen helfen
UnterstĂĽtzungs-Systeme fĂĽr das Ringen
Struggle Support Ladder (UnterstĂĽtzungsleiter):
- Eigenständiger Versuch (mindestens 5–10 Minuten)
- Austausch mit Peers (Schwierigkeiten teilen, keine Lösungen)
- Zugang zu Ressourcen (strategische Hinweise, keine Komplettlösungen)
- Lehrer-Coaching (Denken leiten, nicht lösen)
- Kollaboratives Problemlösen (gemeinsam letzte Hürden nehmen)
Strategisches Hinweis-System:
- Prozesshinweise (keine Inhalte): „Was für ein Aufgabentyp ist das?“
- Strategievorschläge: „Was hat bei ähnlichen Problemen geholfen?“
- Fehleralarme: „Überprüfe Schritt drei“ (ohne Lösung zu geben)
- Metakognitive Impulse: „Was denkst du gerade?“
Die Umweltperspektive
Das Ziel ist nicht, das Ringen zu beseitigen, sondern Lernumgebungen so zu gestalten, dass produktives Ringen der lohnendste und unterstützte Weg zum gewünschten Ergebnis ist: tiefes Verständnis, nachhaltige Fähigkeiten und authentische Expertise.
Wenn die Umgebung mit dem menschlichen Lernprozess durch anstrengende Verarbeitung übereinstimmt, wählen Studierende das tiefere Engagement, weil sie die Zufriedenheit echter Kompetenzentwicklung erleben.
References
Reuse
Citation
@online{ellis,
author = {Ellis, Andrew},
title = {Produktive {Anstrengung} Durch {Design}},
url = {https://virtuelleakademie.github.io/cas-hochschuldidaktik/03-lernumgebungen/produktive-anstrengung/},
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