Vertical vs. Lateral Reading
Warum wir die Quelle verlassen müssen
Zwei Arten zu lesen
Wenn wir eine Information prüfen wollen, gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze:
| Vertical Reading | Lateral Reading |
|---|---|
| Innerhalb der Quelle bleiben | Die Quelle verlassen |
| “About”-Seite lesen | Suchen, was andere über die Quelle sagen |
| Design und Aufmachung bewerten | Unabhängige Einschätzungen finden |
| Quellenangaben der Quelle prüfen | Quellenangaben extern verifizieren |
Vertical Reading: Das Problem
Bei Vertical Reading bleiben wir innerhalb der Quelle und versuchen, ihre Glaubwürdigkeit anhand dessen zu beurteilen, was sie selbst über sich sagt.
Warum das nicht funktioniert
- Eine “About”-Seite wird von der Organisation selbst geschrieben
- Würdest du etwas Schlechtes über dich selbst schreiben?
- Jede Quelle hat Gründe, sich vertrauenswürdig darzustellen
- Selbst unseriöse Quellen können professionell aussehen
Beispiele für Vertical Reading
- Die “About”-Seite einer Website lesen
- Prüfen, ob die Seite professionell gestaltet ist
- Schauen, ob Quellenangaben genannt werden
- Die Qualifikationen lesen, die jemand über sich selbst angibt
Das Problem: All diese Informationen werden von der Quelle selbst kontrolliert.
Lateral Reading: Die Lösung
Bei Lateral Reading verlassen wir die Quelle und suchen extern nach Informationen über sie.
Der Prozess
- Neuen Tab öffnen: Die Quelle verlassen.
- Nach der Quelle suchen: Nicht nach dem Inhalt, sondern nach der Organisation oder Person dahinter.
- Unabhängige Einschätzungen finden: Was sagen andere über diese Quelle?
- Mehrere Perspektiven prüfen: Nicht nur eine externe Quelle.
Das ist selbst eine Form von Lateral Reading: Wenn du unsicher bist, ob eine externe Quelle unabhängig ist, recherchiere auch über sie.
Wonach du suchst
| Frage | Warum wichtig |
|---|---|
| Wer steckt hinter der Information? | Identität und Hintergrund der Quelle |
| Welche Perspektive oder Motivation hat die Quelle? | Mögliche Interessenkonflikte |
| Welche Expertise hat die Quelle? | Fachliche Kompetenz zum Thema |
| Was sagen unabhängige Dritte? | Externe Einschätzung der Glaubwürdigkeit |
Bei Sprachmodellen: Eine spezielle Situation
Sprachmodelle sind ein Sonderfall. Sie haben keine “About”-Seite und keine eigene Motivation. Aber das Prinzip von Vertical vs. Lateral Reading gilt trotzdem:
Vertical Reading bei Sprachmodellen
Bei Sprachmodellen gibt es zwei Arten von Vertical Reading:
1. Den generierten Text analysieren
Du könntest versuchen, die Antwort anhand interner Merkmale zu bewerten:
- Ist der Text in sich konsistent?
- Klingt er selbstsicher oder vorsichtig?
- Werden Quellen genannt?
- Wirkt die Argumentation schlüssig?
Das ist dasselbe Problem wie bei klassischen Quellen: Diese Merkmale sagen nichts über die Richtigkeit aus. Ein Text kann konsistent, selbstsicher, mit Quellenangaben und schlüssiger Argumentation sein und trotzdem falsch.
2. Das Modell zur Selbstprüfung auffordern
Fragen wie “Bist du sicher?” oder “Kannst du das überprüfen?” sind ein Kategorienfehler. Sie setzen voraus, dass das Modell seine Aussagen mit der Realität vergleichen kann. Das kann es nicht.
Was passiert, wenn du nachfragst:
- Das Modell generiert neuen Text, beeinflusst von der bisherigen Konversation
- Es kann vorsichtiger klingen, Zahlen anpassen, oder bei seiner Aussage bleiben
- Keines dieser Verhaltensweisen sagt dir, ob die ursprüngliche Antwort stimmt
Fazit: Vertical Reading bei Sprachmodellen ist entweder unzuverlässig (Textanalyse) oder ein Kategorienfehler (Selbstprüfung). Beides ersetzt keine externe Verifikation.
Lateral Reading bei Sprachmodellen
Das ist, was wir in Teil 3 des Workshops geübt haben:
- Das Sprachmodell verlassen
- Extern nach der Information suchen
- Primärquellen finden
- Selbst prüfen, ob die Quelle das sagt, was das Sprachmodell behauptet
Viele Chatbots können Websuchen durchführen und Quellen zitieren. Das verbessert die Situation, aber:
- Die zitierten Quellen können selbst unzuverlässig sein
- Links können auf Seiten verweisen, die etwas anderes sagen als behauptet
- Die Zusammenfassung kann die Quelle falsch wiedergeben
Auch hier gilt: Klicke auf die Quellen und prüfe selbst.
Fazit: Bei Sprachmodellen gibt es kein Vertical Reading, das funktioniert. Es gibt nur Lateral Reading: die Aussage extern verifizieren.
Wann eine Quelle vertrauenswürdig ist
Wenn du bei deiner Recherche auf eine Quelle stösst, prüfe:
Checkliste für Quellenautorität
Hierarchie der Quellen
| Vertrauenswürdigkeit | Quellentyp | Einschränkungen |
|---|---|---|
| Oft hoch | Primärquellen (Originaldaten, Gesetze, offizielle Statistiken) | Können unvollständig oder selektiv sein |
| Oft hoch | Peer-reviewed wissenschaftliche Publikationen | Qualität variiert nach Journal und Fachgebiet |
| Mittel | Qualitätsjournalismus mit Redaktionsprozessen | Aktualitätsdruck kann zu Fehlern führen |
| Mittel | Wikipedia (als Einstieg) | Qualität variiert nach Thema |
| Niedrig | Blogs, Foren, Social Media | Einzelne Blogs können wertvoll sein |
| Sehr niedrig | Anonyme Quellen, KI-generierte Zusammenfassungen |
Zusammenfassung
Vertraue nie darauf, was eine Quelle über sich selbst sagt.
Verlasse die Quelle und prüfe extern:
- Wer steckt dahinter?
- Welche Motivation könnte die Quelle haben?
- Was sagen unabhängige Dritte?
- Steht in der Quelle wirklich das, was behauptet wird?
Weiterführend
Diese Konzepte stammen aus der Forschung zu Civic Online Reasoning der Stanford History Education Group. Mehr dazu: