Erwünschte Schwierigkeiten
Warum Anstrengung notwendig ist
Robert Bjork prägte das Konzept der “Desirable Difficulties”:
“Conditions that slow the rate of apparent learning often optimize long-term retention and transfer.”
Vier bewährte Strategien:
- Selbst generieren: Eigene Antworten formulieren
- Verteilt lernen: Zeitliche Abstände einbauen
- Aktiv abrufen: Wissen aus dem Gedächtnis holen
- Variieren: Themen und Aufgaben mischen
KI kann jede dieser Strategien untergraben, wenn sie die kognitive Arbeit übernimmt.
Anwendungsfragen
Gesundheit: Pflegediagnosen und Selbst-Generierung
Im klinischen Reasoning bei Bachelorstudierenden Pflege arbeiten Studierende Fallbeispiele selbst durch und begründen ihre Pflegediagnosen. Das ist mühsam für sie, aber genau diese Mühe scheint ja wichtig zu sein.
Frage: Studierende berichten, dass sie ChatGPT nutzen, um sich Pflegediagnosen vorschlagen zu lassen und dann nur noch auswählen. Einerseits ist das verständlich: Die KI gibt oft korrekte Vorschläge. Andererseits besteht die Befürchtung, dass ihnen genau dieser Prozess der Selbst-Generierung fehlt. Wie können Fallbeispiele so umgestaltet werden, dass diese “erwünschte Schwierigkeit” erhalten bleibt, auch wenn Studierende KI nutzen? Oder sollte KI-Nutzung bei solchen Übungen einfach verboten werden?
Der Generierungseffekt zeigt: Selbst formulierte Antworten werden besser behalten. Mögliche Strategien: Erst eigene Diagnose erstellen, dann mit KI vergleichen und Unterschiede begründen. Oder: Prozess dokumentieren lassen, nicht nur das Ergebnis. Mehr dazu im Leitfaden unter Der Generierungseffekt und Desirable Difficulties.
Technik und Informatik: Abkürzung vs. Effizienz
Das Konzept der “erwünschten Schwierigkeiten” wirft Fragen auf. In Programmierkursen zeigt sich, dass Studierende mit GitHub Copilot und KI-Assistenten viel schneller vorankommen und mehr Projekte umsetzen können.
Frage: Variation wird als eine dieser Strategien genannt, aber genau das ermöglicht doch die KI? Studierende können jetzt viel mehr verschiedene Frameworks und Ansätze ausprobieren. Wo ist die Grenze zwischen unerwünschter Abkürzung und sinnvoller Effizienzsteigerung? Einerseits sollen Studierende Programmiersprachen beherrschen. Andererseits sollen sie nicht Zeit mit dem Auswendiglernen von Syntax verschwenden. Wie unterscheidet man, welche Schwierigkeiten “erwünscht” sind und welche einfach nur Zeitverschwendung?
Erwünschte Schwierigkeiten sind solche, die zur Schemabildung beitragen. Syntax auswendig lernen ist weniger wichtig als Konzepte verstehen. Die Frage ist: Verstehen sie, warum der Code funktioniert? Können sie Fehler finden und beheben? Mehr dazu im Leitfaden unter Von schwachen zu starken Methoden und Prozeduralisierung.
Soziale Arbeit: Reflexionsberichte und aktiver Abruf
In der Sozialen Arbeit geht es viel um Gesprächsführung und die Entwicklung einer professionellen Haltung. Studierende schreiben oft Reflexionsberichte nach Praxiseinsätzen, das ist diese “aktive Retrieval”-Strategie, oder?
Frage: Es zeigt sich, dass manche Arbeiten sprachlich perfekt sind, aber irgendwie leer wirken. Studierende geben zu, dass sie ihre Stichworte in ChatGPT eingeben und dann den Text überarbeiten. Sie meinen, das helfe ihnen, ihre Gedanken zu strukturieren. Einerseits haben sie sich ja mit dem Inhalt auseinandergesetzt. Andererseits stellt sich die Frage, ob dieser Prozess des mühsamen Formulierens nicht genau das ist, was die Reflexion vertieft. Wie können Reflexionsaufgaben so gestaltet werden, dass diese erwünschte Schwierigkeit erhalten bleibt?
Das mühsame Formulieren ist tatsächlich Teil des Lernprozesses. Schreiben kann ein “epistemisches Werkzeug” sein: Gedanken entwickeln sich durch das Schreiben. Mögliche Ansätze: Handschriftliche Erstfassung, mündliche Reflexion, oder strukturierte Fragen, die KI-Nutzung erschweren. Mehr dazu im Leitfaden unter Die Scaffolding-Hypothese.
HAFL: Spaced Learning und KI-Tools in der Praxis
In Bodenkunde und Pflanzenernährung ist ein wichtiger Teil des Lernens, dass Studierende lernen, Nährstoffmängel an Pflanzen zu erkennen und zu diagnostizieren. Das braucht Übung: Sie müssen viele Beispiele sehen und selbst interpretieren.
Frage: Es gibt bereits Apps, die per Bilderkennung Pflanzenkrankheiten und Nährstoffmängel identifizieren. In der Praxis werden Studierende später als Agronomieberatende solche Tools nutzen. Gleichzeitig müssen sie zuerst das Grundwissen aufbauen, um die KI-Vorschläge überhaupt kritisch beurteilen zu können. Wie können diese Übungen so gestaltet werden, dass Studierende lernen, KI-Tools sinnvoll einzusetzen, ohne dass ihnen der mühsame Prozess des Lernens verloren geht? Sollten die KI-Tools in gewissen Phasen erlaubt und in anderen verboten werden?
Die Sequenzierung ist entscheidend: Erst die Grundlagen ohne KI, dann KI als Werkzeug. Gestaffelte Übungen können helfen: In frühen Phasen selbst diagnostizieren, später mit KI-Tool vergleichen und Unterschiede analysieren. Mehr dazu im Leitfaden unter Die Sequenzierungsfrage und Übungsphasen schützen.
Mehr zu diesem Thema im Leitfaden: