Der Generierungseffekt
Selbst generiert wird besser behalten
Der Generierungseffekt ist ein robuster Befund der Gedächtnisforschung: Selbst generierte Information wird besser behalten als passiv erhaltene.
Die Implikation für KI: Wenn KI generiert, was Studierende selbst produzieren sollten, entfällt der Lerneffekt. Das Endprodukt mag ähnlich aussehen, aber der Lernprozess ist fundamental anders.
Anwendungsfragen
Gesundheit: Pflegepläne und professionelles Verständnis
Im Fachbereich Pflege erstellen Studierende Pflegepläne für Fallbeispiele. Einige nutzen mittlerweile ChatGPT, um diese Pflegepläne zu generieren. Das Endprodukt sieht oft sehr professionell aus, aber im Praktikum zeigt sich, dass ihnen das Verständnis fehlt.
Frage: Wie kann die Aufgabenstellung so angepasst werden, dass Studierende den Generierungseffekt wirklich nutzen, aber trotzdem von KI profitieren können? Soll KI komplett verboten werden oder gibt es einen Mittelweg?
Ein Mittelweg könnte sein: Erst eigenen Entwurf erstellen (Generierungseffekt nutzen), dann mit KI-Version vergleichen und Unterschiede analysieren. Der Prozess der eigenen Erstellung ist der Lernmoment, nicht das Endprodukt. Mehr dazu im Leitfaden unter Der Generierungseffekt.
Wirtschaft: Analysefähigkeit vs. Tool-Kompetenz
Im Kurs “Strategisches Management” müssen Studierende Unternehmensanalysen durchführen. Wenn sie einfach eine SWOT-Analyse von ChatGPT generieren lassen, ist das Problem mit dem Generierungseffekt klar.
Frage: Aber gleichzeitig werden sie später im Beruf genau solche Tools nutzen. Wie bereitet man sie realistisch auf die Praxis vor, ohne dass sie das analytische Denken verlernen? Ist es nicht widersprüchlich, wenn im Studium KI verboten wird, aber in der Wirtschaft ist sie Standard?
Es geht nicht um Verbot, sondern um Sequenzierung. Experten können KI produktiv nutzen, weil sie den Output bewerten können. Studierende müssen erst die analytischen Grundlagen aufbauen. Später kann KI als Werkzeug dienen, dessen Output kritisch geprüft wird. Mehr dazu im Leitfaden unter Warum Experten profitieren, Lernende nicht und Kognition erweitern vs. ersetzen.
Künste: Kreativer Prozess vs. KI-Varianten
In Visueller Kommunikation und Design geht es sehr viel um den kreativen Prozess: Skizzieren, Iterieren, Verwerfen, Neuanfangen. Das ist der Kern des Lernens. Wenn Studierende jetzt mit Midjourney oder DALL-E arbeiten und in Sekunden 20 Designvarianten bekommen, fehlt dieser ganze Prozess.
Frage: Andererseits experimentieren sie vielleicht dadurch mit Ideen, auf die sie sonst nicht gekommen wären. Wie bewertet man das? Wie stellt man sicher, dass der Generierungseffekt nicht verloren geht, wenn das eigene Gestalten quasi ausgelagert wird?
Der kreative Prozess des Skizzierens und Iterierens hat eigenen Lernwert. KI-generierte Varianten können als Inspiration dienen, sollten aber nicht das eigene Gestalten ersetzen. Möglicher Ansatz: Erst eigene Skizzen, dann KI als Ideengeber, dann bewusste Auswahl und Weiterentwicklung mit eigener Hand. Mehr dazu im Leitfaden unter Die Scaffolding-Hypothese.
HAFL: Vernetztes Denken in der Landwirtschaft
In der Agronomie sollen Studierende Bewirtschaftungspläne für landwirtschaftliche Betriebe entwickeln. Dabei müssen sie Fruchtfolgen planen, Nährstoffbilanzen berechnen, Arbeitsspitzen berücksichtigen: Das ist komplexes, vernetztes Denken.
Frage: Wenn Studierende das von einer KI machen lassen, haben sie vielleicht ein korrektes Resultat, aber verstehen nicht die Zusammenhänge. Später als Berater müssen sie aber genau diese Entscheidungen begründen und anpassen können. Wie kann sichergestellt werden, dass sie den Denkprozess durchlaufen, auch wenn KI-Tools in der Praxis immer verfügbarer werden?
Das Verstehen der Zusammenhänge ist die Kernkompetenz. Aufgaben sollten Begründungen und Anpassungen an veränderte Bedingungen fordern. KI kann das Resultat liefern, aber nicht die Anpassungsfähigkeit an unvorhergesehene Situationen. Mehr dazu im Leitfaden unter Kritisches Denken erfordert Fachwissen.
Mehr zu diesem Thema im Leitfaden: