Kognitive Grundlagen

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Das Nadelöhr des Lernens

Das Arbeitsgedächtnis hat eine stark begrenzte Kapazität von etwa 4 plus/minus 1 Elementen. Alles Lernen muss durch dieses Nadelöhr. Es gibt keinen Weg drumherum, keine Abkürzung, und keine KI kann diesen biologischen Engpass umgehen.

Die Cognitive Load Theory unterscheidet drei Arten der Belastung:

  • Intrinsische Belastung: Inhärente Komplexität des Materials
  • Extrinsische Belastung: Schlecht gestaltete Instruktion (minimieren)
  • Lernförderliche Belastung: Produktive Anstrengung für Schemabildung (erhalten)

Anwendungsfragen

Gesundheit: Notfallsituationen und Informationsverarbeitung

Im Bachelor Pflege müssen Studierende in Notfallsituationen sehr schnell viele Informationen gleichzeitig verarbeiten: Vitalwerte, Symptome, Medikamentenwirkungen, und so weiter.

Frage: Wenn das Working Memory wirklich auf 4±1 Elemente beschränkt ist, wie kann man Studierende dann überhaupt auf solche komplexen Situationen vorbereiten? KI-gestützte Simulationen könnten helfen, aber wenn die kognitive Belastung nicht umgangen werden kann: Sollte dann vielleicht mehr auf klassische Chunking-Strategien gesetzt werden, wo zusammengehörige Informationen gebündelt werden?

Chunking ist tatsächlich der Schlüssel: Experten speichern Wissen in vernetzten Strukturen, die automatisch abgerufen werden. Diese “Chunks” müssen aber durch Übung aufgebaut werden. KI kann diesen Prozess nicht abkürzen, aber gut gestaltete Simulationen können helfen, Muster zu erkennen. Mehr dazu im Leitfaden unter Wie Expertise entsteht und Was Experten sehen.

Technik und Informatik: Code verstehen vs. kopieren

Studierende im dritten Semester Informatik programmieren zunehmend mit GitHub Copilot und ChatGPT. Theoretisch umgeht das die kognitive Verarbeitung nicht wirklich: Sie müssen den generierten Code ja trotzdem verstehen und durchdenken.

Frage: Aber es zeigt sich, dass viele einfach Code kopieren, ohne ihn richtig zu durchdringen. Wie kann man Aufgabenstellungen so gestalten, dass der germane Load, also die lernrelevante Belastung, im Vordergrund steht? Sollten bewusst kleinere Code-Beispiele verwendet werden, damit Studierende innerhalb dieser 4±1 Elemente arbeiten können?

Das Problem ist, dass KI die lernförderliche Belastung eliminieren kann. Aufgabenstellungen sollten den Denkprozess fordern: Code erklären lassen, Varianten vergleichen, Fehler finden. Kleinere, fokussierte Beispiele können helfen, die kognitive Belastung zu managen. Mehr dazu im Leitfaden unter Cognitive Load Theory und Drei Arten kognitiver Belastung.

Wirtschaft: KI zur Komplexitätsreduktion

Im Kurs “Strategisches Management” wird viel mit komplexen Fallstudien gearbeitet: Marktanalysen, Finanzberichte, Wettbewerbsszenarien. Die Studierenden nutzen mittlerweile KI, um diese Fälle vorab zusammenzufassen.

Frage: Einerseits ist das Problem mit dem Working Memory klar: Wenn Studierende zu viele Variablen gleichzeitig jonglieren müssen, lernen sie nichts. Andererseits: Wenn KI ihnen hilft, die extrinsic load zu reduzieren, also überflüssige Komplexität wegzufiltern, ist das dann nicht sogar förderlich? Oder riskiert man damit, dass sie die Fähigkeit verlieren, selbst relevante von irrelevanten Informationen zu unterscheiden?

Das ist eine wichtige Unterscheidung: KI kann extrinsische Belastung reduzieren (gut) oder lernförderliche Belastung eliminieren (problematisch). Die Fähigkeit, Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden, ist selbst eine Expertise, die aufgebaut werden muss. Mehr dazu im Leitfaden unter Welche Art der Belastung reduziert KI?.

Künste: Kognitive Überlastung durch KI-Output

In der Visuellen Kommunikation arbeiten Studierende oft sehr intuitiv und visuell. Viele experimentieren mit Midjourney oder DALL-E und generieren in kurzer Zeit sehr viele Designvarianten.

Frage: Wenn das Working Memory aber tatsächlich so limitiert ist: Überfordert es Studierende dann nicht kognitiv, wenn sie 50 KI-generierte Entwürfe durchgehen müssen, um den richtigen auszuwählen? Sollte man sie eher anleiten, weniger, aber bewusstere Iterationen zu machen? Kann die Flut an KI-Output den kreativen Lernprozess tatsächlich behindern, weil die kognitive Kapazität überlastet wird?

Ja, zu viele Optionen können das Arbeitsgedächtnis überlasten und den Lernprozess behindern. Bewusste Einschränkungen und fokussierte Iterationen können helfen. Der kreative Prozess des Skizzierens, Iterierens und Verwerfens hat einen eigenen Lernwert. Mehr dazu im Leitfaden unter Das Nadelöhr des Lernens.

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